english/deutsch
         
 
Home: www.danny-strasser.de
ich sehe was was du nicht siehst
 
Bild vergrößern
 
Bild vergrößern

Brückenspringen
Sprung von der Brücke ins Kletterseil

Wenn Seppm und seine Kumpels einen Brückentag machen, dann meinen sie damit nicht einen Urlaubstag zwischen Feiertag und Wochenende. Sie nehmen das wortwörtlich und stürzen sich im freien Fall von einer Brücke. Ein echter „do-it-yourself-Sport“!

Irgendwo im Nirgendwo
Eine Brücke irgendwo im Nirgendwo. Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Es ist mitten in der Nacht, stockfinster. Niemand hier, außer...
Ein knappes Dutzend mit großen Rucksäcken und Seilen beladene Gestalten schleicht durch die Dunkelheit. Ihr Ziel ist die im Wald versteckte, 40 Meter hohe Eisenbahnbrücke, genauer gesagt deren Untergeschoss, das sich direkt unter den Gleisen befindet. Nur ein Metallzaun trennt die kleine Gruppe noch von ihrem Ziel. Ein Hindernis, aber kein Hinderungsgrund. Denn sie wollen heute Nacht von der Brücke springen.


Warum?
Was treibt jemanden dazu, von einer Brücke zu springen? Ist das nicht purer Wahnsinn? Man knotet irgendwo ein Seil fest und stürzt sich in die Tiefe, im blinden Vertrauen, dass das schon gutgehen wird... was soll das sein? Sport? Leichtsinn? Eine Mutprobe? Bungee Jumping für Arme? Warum sollte man sein Leben in die Hände von Menschen legen, die man vielleicht noch nie im Leben gesehen hat?
Bild vergrößern Bild vergrößern
Brückenspringen hat viel mit Vertrauen zu tun. Denn dabei vertraut man sein Leben nicht nur einem Kletterseil an, sondern ganz besonders den Menschen, mit denen man zusammen springt. Das subjektive Gefühl, welches die gesamte Gruppe vermittelt, war für mich entscheidend. Funktioniert die Gruppe als Einheit? Will nicht jeder immer nur Häuptling spielen? Sitzen alle Handgriffe? Wird es bemerkt und auch ausgesprochen, wenn jemand fahrlässig handelt oder gar aus der Reihe tanzt?
Die Leute, die mich zum Brückenspringen gebracht haben, sind auf irgendeine Art alle verrückt. Klar, ein Typ, dem es nicht reicht, sich 'einfach nur' mit einen dreifachen Vorwärtssalto von der Brücke zu schmeißen, kann nicht ganz dicht im Kopf sein. Seppm ist solch ein Typ. „Die Saltos sind zwar ganz witzig, aber Du hast keinen Bezug zu der Gegend und der Tiefe. Wenn Du Dich einfach so runter fallen lässt und siehst den Boden auf Dich zuballern, und seitlich die Wand, dann hast Du einen Bezug zu irgend etwas und dann kickt das!“ Und so stellt sich der 38-Jährige an den Abgrund, tritt einen Schritt zur Seite und lässt sich keine 50 cm neben der Betonwand des Brückenpfeilers in die Tiefe fallen. Und auf die Frage „Wer trägt eigentlich die Verantwortung?“ antwortet Seppm lapidar: „Die Verantwortung trägt das Seil. Wenn es reißt, dann hat es die Verantwortung nicht getragen.“ Trotzdem vertraue ich Seppm mein Leben an. Denn trotz aller blöden Sprüche weiß er, was er tut. Und er kann im entscheidenden Moment seinen Gehirn-Modus sofort von 'Blödelei' auf 'rationales Denken' umstellen. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, in der Vorbereitung eines anderen Springers den Sicherheits-Check sorgfältig durchzuführen.
Flo ist ein ganz anderer Typ. Ich kannte den 23-Jährigen Fallschirmspringer, dessen Seile und Karabiner wir nutzen, vorher nicht. Auch ihm und seiner Ausrüstung muss ich zwangsläufig blind vertrauen, wenn ich mich von der Brücke stürzen will. Flo macht einen eher ruhigen Eindruck. Im Gegensatz zu Seppm hört man von ihm keine dummen Sprüche. Gewissenhaft und wortlos baut er die Sprunganlage auf, die er ohne zu Zögern als erster Springer souverän mit einem gestreckten Rückwärtssalto einweiht. Das schafft Vertrauen. Doch Flo ist dieses Mal, anders als bei meinem ersten Sprung, nicht dabei, nur seine Seile und Karabiner.
Heute Nacht übernimmt Tobi Flo´s Funktion. Der 26-Jährige war bisher nur einmal dabei und hat die Sprunganlage noch nie selbst aufgebaut. Trotzdem haben wir ihm als einer der treibenden Kräfte zu verdanken, dass wir heute Nacht hier sind. Ich hatte ihm zuvor deutlich gesagt, dass ich mein Leben nicht allein seinem theoretischen Wissen anvertrauen würde und mindestens einen erfahrenen Springer dabei haben wolle, der die Anlage schon mal selbst aufgebaut hat.
Bild vergrößern Bild vergrößern Bild vergrößern
Bild vergrößern Bild vergrößern Bild vergrößern
Irgendwo in der Brücken-Mitte befestigen Seppm und Tobi die beiden Seile, die uns nach 20 Meter freiem Fall auffangen sollen und an denen wir später unter der Brücke durch schwingen werden, an einer der massiven Stahlstreben. Es beeindruckt mich, wie viele Gedanken sich Tobi schon im Vorfeld zur Sprung-Anlage gemacht hat und so bringt er tatsächlich ein paar sinnvolle Neuerungen ein, damit unsere Sprünge noch sicherer werden. Wie zum Beispiel die Teppich-Stücke, damit die Seile nicht an den scharfen Kanten der Stahlträger schleifen oder die Knicklichter, die er zur Markierung in der Dunkelheit mitgebracht hat.
Eigentlich würde auch nur ein Seil ausreichen, das Zweite ist etwas länger und dient lediglich der zusätzlichen Absicherung für den unwahrscheinlichen Fall, dass das Sprungseil reißen sollte. Überhaupt sind alle relevanten Ausrüstungs-Gegenstände doppelt vorhanden. Anders als beim Bungee-Springen werden wir nachher aber nicht von dieser Befestigungsstelle springen, sondern von einem der beiden Brückenpfeiler aus massivem Beton, die im rechten Winkel zur Brücke stehen und die Stahl-Konstruktion tragen. Knapp eineinhalb Meter muss man von der Stahlbrücke auf den zwei Meter breiten Betonsockel runter klettern oder springen, an dessen Rändern es rundum vierzig Meter in die Tiefe geht. Ein Sturz von hier oben wäre wahrscheinlich nicht tödlich, da ein großer Fluss die beiden Betonpfeiler umströmt. Trotzdem ist hier höchste Vorsicht geboten, denn ein unkontrollierter Sturz selbst ins Wasser wäre wohl mit schweren Verletzungen verbunden. Wie auch auf dem drei Meter breiten Untergeschoss der Brücke, denn ein Geländer sucht man hier vergebens. Höhenangst sollte man besser nicht haben, wenn man sich hier bewegen will. Lediglich die Stahlstreben gaukeln ein klein wenig trügerische Sicherheit vor.
Bild vergrößern Bild vergrößern
Angst und Überwindung
Es ist dieser spezielle Moment kurz vor dem Sprung, der es ausmacht. Wenn die Nervosität steigt. Wenn Du weißt, dass Du gleich an der Reihe bist. Mit einem etwas mulmigen Gefühl springst Du die 1,20 Meter auf den Brückenpfeiler runter. Mulmig nicht etwa weil Du ungesichert auf einen Betonsockel springst, an dessen Seiten es vierzig Meter in die Tiefe geht. Nein, es ist die Gewissheit, dass Du gleich in diesen Abgrund springen wirst, mit Absicht und in vollem Bewusstsein.
Bild vergrößern Bild vergrößern Bild vergrößern
Bild vergrößern Bild vergrößern
Wie ein Henker wartet dort einer der erfahrenen Springer auf Dich, zwei Karabiner in der Hand, an denen die Seile hängen, denen Du gleich dein Leben anvertrauen sollst. Spätestens wenn Dich das Gewicht der beiden dreißig Meter langen Kletterseile Richtung Abgrund zerrt, realisierst Du, auf was Du Dich da gerade einlässt. Nach einem kurzen Sicherheits-Check stehst Du allein mit Dir da. Nur vier Schritte zum Nirvana. Je schneller Du rennst, desto leichter soll es sein. Sagt man. Gespannte Blicke all derer, die schon zum mutigen Club der Brückenspringer gehören, und von denen, die noch nicht realisiert haben, was ihnen noch blüht. Anfeuerungs-Rufe. Trotzdem bist Du allein mit Dir. Die Entscheidung musst ganz allein Du treffen! „Renne ich jetzt los oder oder steh ich am Ende als Feigling da?“ Weniger vor allen anderen, vielleicht sogar mehr vor mir selbst. Denn Du weißt genau: keiner der anderen wird Dich zum Springen drängen oder gar verurteilen, wenn Du Dich doch nicht traust. Noch gibt es ein Zurück. Es ist ein wenig wie der Kampf zwischen Engelchen und Teufelchen, die auf Deinen Schultern sitzen. „Bist Du wahnsinnig? Lass es sein!“ „Los! Spring endlich!“
Bild vergrößern Bild vergrößern Bild vergrößern
Ohne genau zu wissen warum entscheidest Du Dich für den Wahnsinn und rennst los. Völlig egal, wer von beiden es nun war, der Dir da eingeflüstert hat: „Tu es!“ Es geht auch gar nicht um 'Gut oder Böse', es geht um die Überwindung von Todesängsten, dem Sprung in ein neues Leben. Dass Dein Leben danach anders sein wird, weißt Du jetzt noch nicht, denn Du verlierst gerade den Boden unter den Füßen. Du fällst! Deine Hände krallen sich fest umschlossen, aber völlig nutzlos in das Seil, das mit Dir fällt. Verdammt, müsste es Dich nicht langsam auffangen?
Bild vergrößern Bild vergrößern
Dann ein sanfter Ruck und Du schwingst an dieser gigantischen Schaukel mit einem Affenzahn durch die Luft. Endlich verstehst Du, warum Du das gemacht hast. Denn jetzt weißt Du endlich, dass Du lebst! Vieles der vergangenen Jahre kommt Dir als 'Dahinvegetieren' vor und Du fragst Dich, warum Du nicht schon viel früher angefangen hast zu leben! Nun weicht Dein panischer Gesichtsausdruck von gerade eben einem breiten Grinsen. Und Du weißt genau, dass dies nicht Dein letzter Sprung von der Brücke gewesen sein wird.


Teamwork
Der Weg nach oben ist Teamwork. Denn nur mit vereinten Kräften kann jeder Springer schnell und unkompliziert nach oben gezogen werden. Erst wird ein Zugseil zum Springer abgelassen, in das er sich einklinkt. Dann gibt einer das Kommando, alle anderen ziehen. Keiner, der sich drückt. Oder immer nur das Kommando geben will. Jeder macht mit, völlig ungefragt. So stelle ich mir echte Teamarbeit vor, das ist realer Mannschaftssport. Ohne festgeschriebene Regeln und Schiedsrichter.
Ein unbezahlbares Abenteuer
Kaufen kann man dieses Abenteuer freilich nicht, denn es gibt keine kommerziellen Anbieter, bei denen man Brückenspringen buchen könnte. Man muss jemanden kennen, der schon mal dabei war. Das macht das Ganze irgendwie exklusiv. Können muss man dafür eigentlich nichts, man muss sich nur trauen. Natürlich muss man eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen, schließlich gibt es niemanden, auf den man im Falle eines Unfalls die Verantwortung schieben kann. Jeder springt auf eigens Risiko. Brückenspringen ist ein Do-it-yourself-Abenteuer, und Seppm erklärt das so: „Ein Restrisiko habe ich auch, wenn ich zu Hause auf eine Leiter steige. Aber Brückenspringen macht halt mehr Spaß als auf eine Leiter zu steigen!“ Vielleicht ist es genau das, was diesen Sport so faszinierend macht. Die Unbefangenheit und der Spaß an der Freude stehen im Vordergrund, nichtsdestotrotz passt aber jeder auf jeden auf und bietet damit ein höchstmögliches Maß an Sicherheit.
Bild vergrößern Bild vergrößern
Nach dem Sprung ist vor dem Sprung
Oft springen Seppm und seine Kumpels nicht, vielleicht drei oder vier mal pro Jahr. Schließlich ist der Aufwand relativ groß, und es müssen immer eine Menge Leute zusammen getrommelt werden. Auf die Frage, ob er irgendwann mal aus dem Alter raus wächst, dass er solch einen Blödsinn machen muss, antwortet Seppm: „Keine Ahnung! Das sag ich Dir irgendwann mal!“

 
Videos
TV-Beitrag ansehen arte, Tracks
Brückenspringen
TV-Beitrag vom 30.06.2012, 7:00 min.
Video ansehen, ISDN-Version (320 x 240)
Video ansehen, DSL-Version (768 x 432)
Video ansehen Bridge Day
Brückenspringen
Video-Clip, 3:30 min.
Video ansehen, ISDN-Version (320 x 240)
Video ansehen, DSL-Version (768 x 432)
Film ansehen Brückentag
Brückenspringen
Film, 12:05 min.
Video ansehen, ISDN-Version (320 x 240)
Video ansehen, DSL-Version (768 x 432)
Video ansehen mein erstes Mal
Brückenspringen
Video-Clip, 4:49 min.
Video ansehen, ISDN-Version (320 x 240)
Video ansehen, DSL-Version (768 x 432)

 

 
Anmeldung